Immer wieder erlebe ich Schüler*innen, die Noten nicht so lesen können, wie Musiklehrende sich das als „normal“ vorstellen. Sie können auch nach Jahren kaum etwas vom Blatt spielen – und haben beim Erarbeiten eines Stücks charakteristische Probleme. Oft staunen wir, dass sie eine Note erst sehr lange anschauen, bevor sie Ihren Namen nennen. Die Lage in den Zwischenräumen wird verwechselt, ebenso wie „gleich aussehende“ Töne, etwa im Violinschlüssel tiefes E / hohes F, tiefes C / hohes A. Wiederkehrende Muster werden nicht als solche erkannt. Dies betrifft melodische wie rhythmische Folgen. Sätze wie die folgenden versetzen sie allenfalls in Panik: „Siehst du denn nicht, dass diese Tonreihe nach oben geht?“ „Siehst du nicht, dass das ein t i e f e s E ist?“ „Siehst du nicht, dass diese kleine Reihe sich dauernd wiederholt“ „Siehst du nicht, dass das genau die Nachbarnote ist?“
Erfassen der individuellen Lernstrategie
Da sie die Musik lieben wie andere auch, müssen wir im Unterricht versuchen zu verstehen, wo die Probleme liegen – und mit welcher Strategie man sie erfolgreich angeht. Möglicherweise gibt es eine Art Notenlese – Legasthenie, die gleichzeitig mit – oder unabhängig von sonstigen Leseproblemen auftritt ? Toller Einstieg: Der ausführliche Vortrag von Annika Sabrowski auf Youtube. Über eigene Versuche in den nächsten Monaten werde ich berichten.
Die kleinen aber feinen „ A g r é m e n t s “
also die „Annehmlichkeiten“, haben in der Barockmusik eine wichtige Aufgabe: Damit die Hörer nicht von zu schlichten Melodien gelangweilt würden oder das Ohr nicht von den vielen aufeinander folgenden harmonischen Konsonanzen ermüde, sollen sie mit kleinen Schleifern und Umspielungen die Musik geschmeidiger und galanter gestalten, sowie durch dissonanzbildende Vorhalte mehr Spannung in den Vortrag bringen.
Ganz sicher nutzten die höfischen Musiker aber auch die Chance, die Musik mit all ihrem Können imposant anzureichern und sich damit als große Virtuosen zu profilieren!
Telemann: Methodische Sonate in A für Flöte u. Basso continuo Erste Zeile: Solo unverziert. Zweite Zeile: Solo von Telemann im „vermischten Geschmack“ selbst verziert
Die Bezeichnung „Wesentliche Manieren“ für die kleinen Verzierungen, die dicht um die Hauptnote herum erklingen, macht deutlich, dass Verzierungen bis zu einem gewissen Ausmaß ein selbstverständlicher und eingeplanter Bestandteil der Komposition sind, und nicht freiwilliger Zierrat. Da Verzierungen aber fast nie ausgeschrieben wurden – und oft nicht einmal Symbole über den Noten angebracht wurden, erfordert es gute Kenntnisse und Geschmack, wenn man stilfeste und wirkungsvolle Verzierungen spielen möchte. Wichtig ist, dass man auch bei den kleinen Verzierungsnoten in der richtigen Tonart bleibt.
Auf der Basis von überschaubaren Grundkenntnissen bleibt immer ein Improvisationsspielraum für die Interpreten, so dass ich finde, dass Verzieren einfach auch Spaß macht und es nicht grundsätzlich dauernd nur um richtig oder falsch geht.
Von den wesentlichen Manieren, die dem eleganten französischen Geschmack sehr entsprachen, unterschieden sich die großräumigeren „willkürlichen Manieren“der Italiener, z.B. in Corellis Sonaten oder in bereits wesentlich älteren italienischen Lehrwerken, wie der Flötenschule LaFontegara von Sylvestro Ganassi von 1535 (!). Hier finden sich ausladende Girlanden aus schnellen Noten, Akkordbrechungen und virtuose Diminutionen – aber darüber ein andermal mehr.
Deutsche Musiker schrieben vieles im französischen Stil, wie sie ja auch bei Hof französisch sprachen: Deutlich wird das meist schon am franz. Titel oder der franz. Satzbezeichnung eines Werks. Aber typisch für deutsche Musiker war ja der sogenannnte „vermischte Geschmack“, der also Einflüsse von allen Seiten integriert, wie im Beispiel oben. Zeitgenössische Lehrwerke rieten einem angehenden Musikus, sich durch häufiges Anhören der Besten seinen Geschmack dafür zu bilden, wie Verzierungen gesetzt werden müssen.
Das ist bis heute ein guter Tipp!
Wer es lieber nachliest:
Einige Komponisten des 17. und 18. Jh. widmeten der Verzierungslehre Kapitel in ihren Lehrwerken, eine kleine Literaturliste zum Thema finden Sie in diesem Blog im Beitrag über die historische Aufführungspraxis, hier klicken.
Sie hinterließen auch konkrete Beispiele dafür, wie sie die Verzierung ihrer eigenen Musik erwarteten: Telemann hinterließ z. B. seine zwölf „Methodischen Sonaten“, in denen die reich verzierte Solostimme zusätzlich zur unverzierten abgedruckt wird, wie Sie im Beispiel oben sehen. Von Corelli gibt es dies ebenso. Auch das Komponieren sogenannter Doubles zu Sarabanden oder Menuetten war üblich, in denen die gleiche Musik beim zweiten Mal nun bereits stark verziert notiert ist.
Im nächsten Beitrag des Blogs: französische Verzierungen und der ganz wichtige (Kadenz)triller.
Den Abschluss für heute liefert J.S.Bach: „Explication unterschiedlicher Zeichen, so (gewisse?) Manieren artig zu spielen andeuten“:
J.S.Bachs Erläuterungen der Manieren im „Clavierbüchlein für Friedemann“, seinen Sohn. Quelle: Wikipedia
Herzlich willkommen zur Fortsetzung des kleinen Kurses!
Wann also das dichte „D“, wann das markantere „T“ ?
Bei den Betrachtungen zu den passenden Artikulations – Konsonanten sind wir in bester Gesellschaft beispielsweise mit den Streichern. Hier braucht es keine Konsonanten – aber Auf- und Abstriche: lesen Sie dazu auch Leopold Mozarts „Gründliche Violinschule“, eine der Hauptquellen über das Instrumentalspiel im 18. Jahrhundert. Faszinierend sind die daraus folgenden musikalisch gleichen Ergebnisse bei Bläsern und Streichern.
Artikulationsregeln fanden sich bereits bei Silvestro Ganassi im 16. Jh., und sie ziehen sich durch die barocke Fachliteratur des 17. und 18. Jahrhunderts, wie ich im Kapitel über historische Aufführungspraxis bereits beschrieben habe, hier. In diesen Lehrwerken ist auch von anderen Anblaskonsonanten wie „R“, „L“, „K“ und „CH“ die Rede – aber darüber ein späteres Mal…..
Die Regeln sind nie starr, aber T benutzen Sie (im allgemeinen) ganz passend für:
a) den ersten Ton eines Stücks b) Auftakt und Folgeton – auch innerhalb der Stücke/Lieder c) den zweiten Ton eines Sprungs d) ab dem zweiten Ton einer Tonwiederholung e) den Vorhalt des Trillers oder/und denTon nach Triller f) die Synkope g) den ersten Ton einer Reihe kurzer Noten f) den Ton nach einer Pause g) im Zusammenhang mit Punktierungen – sehr variabel
D benutzen Sie im Wesentlichen für diatonische Tonfolgen, also Reihen von Halb- und Ganztönen, wie die Tonleiter.
Hier habe ich schnell ein paar Notenbeispiele konstruiert und die Artikulationssilben darunter geschrieben. Versuchen Sie doch einmal zuzuordnen, um welchen Fall es sich jeweils handelt:
Oft gelten gleich mehrere Kriterien auf einmal, manchmal muss man ein Kriterium vernachlässigen, weil einem ein anderes gleichzeitig wichtiger ist. Sie als Interpret entscheiden letztlich auf Grund der Regeln immer selbst, wie Sie etwas gestalten, so lehrte bereits Hotteterre in seinen „Principes“, die Sie hier nachlesen können.
Es ist also völlig ok, wenn Sie es etwas anders spielen, als ich vorgeschlagen habe.
Wenn Sie einfache Musikstücke zur Hand haben, trainieren Sie ein paarmal etwas akribisch die Kriterien für deutliche Artikulation – sie werden Ihnen bald sehr selbstverständlich vorkommen.
Denken Sie auch noch an die leicht angelegte Zunge und den gleichmäßig ausströmenden Atem?
Für heute wünsche ich viel Spaß und Erfolg. Im nächsten Beitrag geht es um einige Spezialfälle.
Kontrabassflöte & Sopranino. Und sie sprechen die gleiche Sprache!
Herzlich willkommen! Und weiter gehts:
Natürlich besteht eine ausdrucksvolle Musiksprache nicht nur aus der einen einzigen Artikulationssilbe „Dö“, wie im ersten Teil beschrieben. Obwohl man damit bereits vieles sehr schön spielen kann. Alle Töne sind mit dem weichen Anfangsbuchstaben „D“ sehr dicht aneinander gereiht. Achten Sie noch einmal darauf und erinnern Sie sich an die Perlenkette. In der Reihe unterhalb der Silben sehen Sie, wie lange Ihre Töne erklingen (schwarzer Strich) und was Ihre Zungenspitze zwischen den Tönen tut (die kleinen roten Häkchen). Diese Übung geht mit und ohne Flöte:
Die roten Häkchen sind die Zungenabschlüsse
Nun versuchen Sie genau das gleiche, ersetzen aber die „D“s durch „T“s. Auch dies habe ich notiert – und sie sehen sehr deutlich, was sich ändert. Um den Konsonanten T zu sprechen, stauen wir die gleichmäßig ausströmende Atemluft einen Moment länger hinter unserer Zunge. (Sie erinnern sich an das Bild vom Wasserschlauch?) Dieser Zungenabschluss wirkt wie ein Abstandhalter zwischen den Tönen und ist wieder rot eingezeichnet. Nach dem Zungenabschluss entweicht die gestaute Luft mit einem kleinen Knall – dem gewünschten T. Sie brauchen dieses T nicht etwa extra zu betonen – das tun Sie beim Sprechen ja auch nicht, und jeder versteht Sie. Wichtig ist, dass Sie den Ausatmungs-Fluss nicht anhalten und danach etwa neu blasen. Fühlen Sie sich lieber etwas wie ein Föhn 🙂 Die Luft strömt – und das einzige, was sich bewegen darf, ist Ihre Zunge: Experimentieren Sie mal eine Weile mit diesen beiden Möglichkeiten und probieren sie aus, welche Varianten Sie damit gewonnen haben. Spielen Sie einfach Melodien mal mit deutlichen Ds und mal mit Ts. Natürlich entscheiden Sie selbst für jede Note, wie mehr oder weniger dicht sie folgen soll – bzw. wie stark „knallig“ sie beginnen soll. Schön ist es, wenn Ihnen die „D“s besonders dicht gelingen. Denken Sie zwischendurch immer mal an die oben leicht angelegten Zungenränder. Wenn Sie damit Ihre Erfahrungen gemacht haben, beginnen Sie, mit den“T“s und „D“s eine Art Muster zu entwerfen – also Ihre ersten Worte mit der Flöte. Hier ein paar Beispiele, die allein mit vier gleichen Tönen schon möglich sind, spielen Sie jede Reihe eine Weile lang, quasi als Endloskette:
Falls Ihnen das im Moment noch kompliziert vorkommt, wird es Sie trösten, dass jeder es Wochen und Monate trainieren muss(te). Es klappt keineswegs von Anfang an, aber belohnt Sie später sehr! Trainieren Sie immer sehr langsam und beobachten genau, ob Ihre Zunge auch das tut, was Sie wollten – dann wird es bald auch schneller und ganz selbstverständlich funktionieren.
Im nächsten Artikel schreibe ich darüber, an welchen Stellen einer Melodie sich die Gestaltung mit D oder T empfiehlt – und warum.
Bis bald also!
Und Ihre Fragen oder Kommentare sind auch diesmal willkommen.
Ich kenne ja meine Leserinnen und Leser nicht. Nachdem die letzten Beiträge sich mit der historischen und auch der brandaktuellen Instrumentenentwicklung (siehe Elody) beschäftigten, setze ich heute meinen kleinen Kurs_Basics fort. Möglicherweise gehören gerade Sie zu denen, für die genaue Informationen zu spieltechnischen Details sehr interessant sind. Prima! Wenn nicht: ein Klick – und wir sehen uns vielleicht beim nächsten Beitrag wieder. Ansonsten wünsche ich viel Vergnügen beim Lesen und evtl. Trainieren.
Der Ansatz Tatsächlich benötigen wir zum Flöte spielen außer den Fingern noch einen Bereich unseres Körpers, den man nicht einsehen kann – und genau dies macht es ja so schwierig! Ausgerechnet in der Mundhöhle spielen sich die komplizierten Wechselwirkungen von Gaumen, Zähnen, Zunge und Atemluft ab. Aber erst mit gekonnt beherrschter Artikulationstechnik kann man Flötenmusik verständlich und ausdrucksvoll zu Gehör bringen.
In der Praxis habe ich schon die unterschiedlichsten Techniken erlebt, wie man mit diesen Mundwerkzeugen einen Ton erzeugen kann – alle funktionieren auch prompt bis zu einem gewissen Grad. Allerdings fällt schnell auf, dass die Ergebnisse entweder klanglich nicht überzeugen, im Tempo nicht zu steigern sind, unglaublich viel Luft verbrauchen oder etwa noch zu ständigem In-die-Flöte-Sabbern (sorry) führen.
Am besten funktioniert doch die Methode mit den D’s oder T’s, wie sie die barocken Meister beschreiben. Da das gar nicht so einfach ist, sondern richtig gut trainiert werden muss, fangen wir ganz von vorne an.
Beginnen Sie mit diesen drei Übungen: 1. Spitzen Sie die Lippen wie zum Pfeifen. Legen Sie dann Ihre Zunge so an den Gaumen, dass Sie quasi den oberen Mundraum mit ihr auskleiden. Ganz wichtig dabei: Die Zungenspitze liegt rundherum etwas unterhalb der inneren Schneidekante der Zähne (gilt auch für Franken!) . Und nun versuchen Sie, einen Vokal – z.B. ein „Ö“ – zu singen oder auch nur, die Luft auszublasen. Und? Geht nicht? Kann ja nicht, denn unser oberer Mundinnenraum bildet mitsamt der Zunge als unterer Begrenzung einen röhrenförmigen „Windkanal“ – und den haben Sie gerade mit der Zunge vorn verschlossen, nichts geht mehr durch. Man nennt dies den „Zungenabschluss“, nicht zu verwechseln mit einem „Düü-t“, bei dem die Zunge den Kanal am Ende wieder geöffnet hat.
2. Geben Sie nun, wieder mit Pfeiflippen, der oben angelegten Zunge ganz wenig mehr Raum – gerade nur so viel, dass Sie mit gespitzten Lippen hörbar ein ca 3 Sekunden langes „Döööööööö“ singen können. Beobachten Sie, dass die Seitenränder der Zunge immer noch an einigen Stellen die seitlichen oberen Zahnoberflächen berühren und dadurch die Zunge in der Mitte etwas nach unten gewölbt wird – wie die untere Hälfte einer Röhre. Und wieder: Keinesfalls darf die Zunge die Begrenzung der Zähne durchbrechen. Ganz wichtig immer:
Flöte: Vor den Zähnen / Zunge: hinter den Zähnen.
Damit schließen Sie aus, dass beim Flöte spielen die Lippen oder gar das Instrument von der Zunge berührt und befeuchtet werden.
Halten Sie nun – während Sie ein langes Dööööööö sprechen – die Innenfläche ihrer Hand dicht vor den Mund. Sie spüren vermutlich einen gleichmäßig strömenden Luftzug. Unser persönlicher Windkanal ist also geöffnet – ein langer Ton erklingt! Dieser gleichmäßig fließende feine Luftstrom wird Sie durch alle Flötenmusik begleiten.
3. Wenn Sie nun kurze Töne spielen möchten, ändern Sie bitte nichts am gleichmäßig ausströmenden Atem. Sie starten wieder in der Pfeifstellung. Vergewissern Sie sich, dass die Zunge noch leicht abgestützt rechts und links die Zähne berührt und sprechen Sie nur durch Bewegung der Zungenspitze: Dödödödö dödödödö. Kontrollieren Sie auch jetzt mit der Handinnenfläche den „Luftausstoß“. Die kleinen Impulse sind quasi Perlen auf einer Kette, Ihr Atem ist das durchlaufende Fädelband.
Vielleicht hilft Ihnen auch noch ein anderes Bild: Nehmen sie einen Gartenschlauch und lassen Wasser hindurch fließen. Mit Ihrer Hand stoppen Sie durch Verschließen jeweils ganz kurz den Wasserstrom – und öffnen ihn gleich wieder. Es entstehen rhythmische Impulse – der Wasserdruck selbst lässt aber nie nach. Die völlig gleichmäßige Aneinanderreihung von Einzeltönen – mit einer Zungenspitze, die sich ganz leicht im Windkanal bewegt – kann man auch ohne Flöte wunderbar beim Fahrradfahren singend oder in anderen unbeobachteten Momenten trainieren. Im nächsten Artikel werde ich beschreiben, wie man Töne unterschiedlich artikuliert spielen kann. Bis bald also!
Falls Sie etwas fragen oder bemerken möchten, bin ich sehr gespannt! Es geht ziemlich viel weiter unten bei „Hinterlasse einen Kommentar“. Danke.
Hemiolen begegneten mir zum ersten Mal als Studentin bei Bachs h-moll Messe. Damals hatte wohl keiner aus unserem kleinen feinen Gesangsensemble (Die Berliner Bachsolisten mit Solisten der Berliner Philharmoniker) den Dirigenten verstanden, der zunehmend wütend auf einer korrekt hemiolischen Ausführung der virtuosen 16tel – Ketten beharrte, ohne uns das so recht erklären zu können (s. Beispiel ganz unten). Oder lag es an uns?
Dabei ist alles ganz einfach: Hemiolen sind nicht notierte Taktwechsel. Barocke Titel im Dreiertakt o h n e Hemiolen gibt es praktisch nicht. Sie werden im Barock und bis in die aktuelle Musik sehr regelmäßig eingesetzt, um in Dreiertakten Schlußwirkungen zu erreichen. Sie stehen also folgerichtig gern an (Binnen-)Schlüssen von Stücken wie z.B. Menuetten, Sarabanden, Sizilianos und umfassen jeweils zwei 3er- Takte bzw. e i n e n 6er-Takt (6/8, 6/4). Die Hemiole fasst 2 Dreiertakte zu e i n e m großen Dreiertakt zusammen. Aus: „Eins-Zwei-Drei, Eins-zwei-Drei“ wird also dann: „1 und, 2 und, 3 und“. Diese neuen drei Zählzeiten habe ich in meinen Beispielen wie allgemein üblich mit drei Klammern gekennzeichnet. Natürlich ändern sich dadurch die Betonungen, denn der mittlere Taktstrich entfällt ja.Ihre Wirkung entsteht durch die Verschiebung der Schwerpunkte. (Zeile 2):
Wer es mathematisch mag: Die zwei 3/4 zusammen (oder ein einzelner 6/4-Takt) verfügen über 6 Viertel, bei anderen Dreiertakten aus Achteln oder Halben gilt das entsprechend. Diese sechs kann man schon rein rechnerisch aufteilen in zwei Dreiertakte mit jeweiliger Betonung auf 1) wie zu Anfang des Beispiels unten, oder hemiolisch in drei Zweiergruppen, wie in der zweiten Zeile. Die neue Betonung ergibt sich dann ganz automatisch:
In originalen Noten wurde oft der mittlere Taktstrich weggelassen, um die Hemiole zu kennzeichnen. (Tipp: Wenn es an einer „schlüssigen“ Stelle holpert – einfach schnell mal testen, obs als Hemiole auch noch holpert. Meist wird man belohnt: Die Wendung klingt plötzlich viel besser, und der Bass unterstützt die Stelle absolut passend.) Selbstverständlich müssen auch die Continuospieler im Ensemble hemiolisch phrasieren, nicht nur die Solisten. Dirigent/innen schlagen an Hemiolenstellen ebenfalls den „großen Dreier“ bzw. drei Zweier.
Sehr griffige Merksätze: Die Hemiole macht aus zwei kleinen Dreiern einen großen 🙂 Die Hemiole macht aus zwei Dreiern drei Zweier 🙂 „Da wo du rausfliegst ist eine Hemiole“ – sorry, stimmt auffallend oft 🙂
MEHR ZUM THEMA HEMIOLEN – und mehr Notenbeispiele:
Es lohnt sich, mit ihnen vertraut zu sein – denn einmal erkannt, machen sie schwierig wirkende Rhythmen auf einmal viel logischer. Man übt es, ein Gefühl dafür zu bekommen – und bald gehts ganz selbstverständlich. Besonders hemiolenlastig sind Musiken über einen wiederkehrenden Bass („Ground“), wie Folias, Passacaglien und Chaconnen, aber ganz ohne kommt kaum eine Sarabande, kein Menuett oder auch sonstiges Dreiertaktstück aus. Kurze Zusammenfassung: Besonders deutlich macht das der Text aus der h-moll-Messe im vorletzten Beispiel. Hemiolen sucht man erfolgreich an unzähligen kleinen Phrasenenden, natürlich auch oft am Schluss des Stückes. Man erkennt Hemiolen – außer mit Gefühl dafür – am typischen kadenzartigen Bassverlauf, häufig mit Oktavfall auf Drei, und verziert am besten diese Stelle mit einem Vorhalts-Triller (+) in der Oberstimme. Viel Spaß beim Ausprobieren!
Ganz einfach: Inspiriert durch die rationale, intellektuelle Haltung der Aufklärung verfassten die barocken Komponisten mehr Lehrwerke als Musiker zu jeder anderen Zeit vorher oder nachher, und das noch in deutscher (französischer, italienischer) Sprache und nicht mehr im Gelehrten-Latein. Wie ignorant wäre es, über solche Lehren einfach hinweg zu gehen? Wir können annehmen, dass diese „Spielregeln“ zumindest bis weit in die Klassik hinein gängige Praxis gewesen sein müssen. Zumal viele von ihnen in einer Zeit publiziert wurden, als z.B. W.A. Mozart bald schon ein musikalisches Kleinkind war….
Für viele große Dirigenten ist die Berücksichtigung der zeitgemäßen Spielpraxis auch bis in die Romantik hinein längst selbstverständlich geworden – während andernorts das Bemühen darum immer noch (vielleicht aus Unwissenheit?) zumindest verdrängt oder belächelt wird 🙂
Barock gespielt klingt die Musik meist federnder, kleingliedriger, tänzerischer, auch mal pathetischer – aber immer wesentlich kontrastreicher. Mehr als spätere Musik lässt Barockmusik Freiraum zu Gestaltung durch Verzierung und Improvisation. Barock will nicht ebenmäßig und „klassisch“ schön sein, sondern eher affektvoll, mitreißend, auch mal schrill. In Zukunft werden in diesem Blog immer mal wieder Beiträge zum „Warum“ und „Wie“ stehen – unter besonderer Beachtung der Blockflöte natürlich.
Foto: Anne Pape
Die Lehrwerke
Drei besonders beachtete Lehrwerke für viele Instrumente entstanden im 18. Jh. am Berliner Hof Friedrich des Großen – im Schloss Sanssouci (Potsdam). Berühmte Komponisten (Ph.E.Bach, J. J.Quantz, L. Mozart) haben sie verfasst, und sie bereichern unsere Ausbildung immer noch. (Als Faksimile und auch als Paperback erhältlich!) So wie es bei Hofe als schick galt, französisch zu sprechen, ist auch der Musikgeschmack der Komponisten dort sehr französisch – darüber mal später mehr.
Hier einige Titel:
Leopold Mozart, Versuch einer gründlichen Violinschule (1756 u. 1770 Berlin)
Philipp Emanuel Bach, Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen (1753 Berlin)
Johann Joachim Quantz, Versuch einer Anweisung die Flöte traversière zu spielen (1752 Berlin, in Wirklichkeit ein umfassendes allgemeines Lehrwerk, Anm. d. Verfasserin)
Pier Francesco Tosi / übers.: Johann Friedrich Agricola, Anleitung zur Singkunst (original: Opinioni de’ cantori antichi, e moderni o sieno osservazioni sopra il canto figurato (Bologna 1723)
J. M. Hotteterre le Romain, Principes de la Flute traversière ou Flute Allemande, de la Flute a Bec ou Flute douce,et du Haut-bois (Paris 1707), nachzulesen Hier.
Alle Quellen beschreiben sehr vergleichbar detailgenau die Musik als eine Sprache mit minutiösen Regeln zu Aussprache und Rhetorik. Da finden wir Hinweise zur Aufstellung und Anleitung des Ensembles, zur Charakteristik von Tanzsätzen, zu Tempowahl, Affektgestaltung und zur Haltung. Sogar Triller-, Griff- und Artikulationstabellen sind beigefügt. Für alle Instrumente, sowie auch die Singstimme, gelten die gleichen Regeln. Die technische Ausführung muss jeweils auf angepasste Art realisiert werden. Darüber bald mehr.
Kurioses: Ganz besonders bei Herrn Quantz kann man sich zudem noch gut in den Geschmack und die Probleme der Zeit einfühlen. Er gibt sehr konkrete (für uns heute manchmal herzzerreißend komische) Hinweise.
So erfahren wir, dass der aufgregete Flötenist sich vor dem Spielen in die Perücke greifen solle, da das Puder die feuchten Hände trocknet. Oder dass darauf zu achten wäre, dass die Sängerin „kein blödes Gesicht“ habe – womit er darauf hinweisen möchte, dass sie gut sehen können muss. (Denn sie muß über die Schulter des Cembalisten hinweg schließlich nicht nur die Noten, sondern auch noch den Text lesen können!)
Er warnt auch allzu eifrige Musikschüler: Zwei Stunden vormittags und zwei Stunden nachmittags als Übezeit müssten für den Anfang genügen!
25.03.2015 Auf dem Weg zur hohen Kunst
bedarf es zunächst der Basics. Und so stelle ich heute mal ein paar selbst entworfene Unterrichtsmaterialien zur Verfügung. Ich wünsche viel Erfolg damit!
Für den Einstieg habe ich etwas vereinfachte Grifftabellen entworfen. In der obersten Zeile steht die Grundtonart, in der unteren stehen die häufigsten b’s und #-Töne. Eher seltene Töne u. Griffalternativen der Flötentypen und zur Intonation habe ich der Übersichtlichkeit geopfert 🙂
Sie interessieren sich für mehr Info rund um das Spielen selbst? Unter meiner Rubrik Basics (Leiste oben) ist alles aufgelistet, was es dazu in diesem Block gibt. Alternativ kann man auch die Kategorie „Spieltechnik – Basics“ am rechten Seitenrand aufrufen.