Ganz einfach: Inspiriert durch die rationale, intellektuelle Haltung der Aufklärung verfassten die barocken Komponisten mehr Lehrwerke als Musiker zu jeder anderen Zeit vorher oder nachher, und das noch in deutscher (französischer, italienischer) Sprache und nicht mehr im Gelehrten-Latein. Wie ignorant wäre es, über solche Lehren einfach hinweg zu gehen? Wir können annehmen, dass diese „Spielregeln“ zumindest bis weit in die Klassik hinein gängige Praxis gewesen sein müssen. Zumal viele von ihnen in einer Zeit publiziert wurden, als z.B. W.A. Mozart bald schon ein musikalisches Kleinkind war….
Für viele große Dirigenten ist die Berücksichtigung der zeitgemäßen Spielpraxis auch bis in die Romantik hinein längst selbstverständlich geworden – während andernorts das Bemühen darum immer noch (vielleicht aus Unwissenheit?) zumindest verdrängt oder belächelt wird 🙂
Barock gespielt klingt die Musik meist federnder, kleingliedriger, tänzerischer, auch mal pathetischer – aber immer wesentlich kontrastreicher. Mehr als spätere Musik lässt Barockmusik Freiraum zu Gestaltung durch Verzierung und Improvisation. Barock will nicht ebenmäßig und „klassisch“ schön sein, sondern eher affektvoll, mitreißend, auch mal schrill. In Zukunft werden in diesem Blog immer mal wieder Beiträge zum „Warum“ und „Wie“ stehen – unter besonderer Beachtung der Blockflöte natürlich.
Die Lehrwerke
Drei besonders beachtete Lehrwerke für viele Instrumente entstanden im 18. Jh. am Berliner Hof Friedrich des Großen – im Schloss Sanssouci (Potsdam). Berühmte Komponisten (Ph.E.Bach, J. J.Quantz, L. Mozart) haben sie verfasst, und sie bereichern unsere Ausbildung immer noch. (Als Faksimile und auch als Paperback erhältlich!) So wie es bei Hofe als schick galt, französisch zu sprechen, ist auch der Musikgeschmack der Komponisten dort sehr französisch – darüber mal später mehr.
Hier einige Titel:
Leopold Mozart, Versuch einer gründlichen Violinschule (1756 u. 1770 Berlin)
Philipp Emanuel Bach, Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen (1753 Berlin)
Johann Joachim Quantz, Versuch einer Anweisung die Flöte traversière zu spielen (1752 Berlin, in Wirklichkeit ein umfassendes allgemeines Lehrwerk, Anm. d. Verfasserin)
Pier Francesco Tosi / übers.: Johann Friedrich Agricola, Anleitung zur Singkunst (original: Opinioni de’ cantori antichi, e moderni o sieno osservazioni sopra il canto figurato (Bologna 1723)
J. M. Hotteterre le Romain, Principes de la Flute traversière ou Flute Allemande, de la Flute a Bec ou Flute douce, et du Haut-bois (Paris 1707), nachzulesen Hier.
Alle Quellen beschreiben sehr vergleichbar detailgenau die Musik als eine Sprache mit minutiösen Regeln zu Aussprache und Rhetorik. Da finden wir Hinweise zur Aufstellung und Anleitung des Ensembles, zur Charakteristik von Tanzsätzen, zu Tempowahl, Affektgestaltung und zur Haltung. Sogar Triller-, Griff- und Artikulationstabellen sind beigefügt. Für alle Instrumente, sowie auch die Singstimme, gelten die gleichen Regeln. Die technische Ausführung muss jeweils auf angepasste Art realisiert werden. Darüber bald mehr.
Kurioses: Ganz besonders bei Herrn Quantz kann man sich zudem noch gut in den Geschmack und die Probleme der Zeit einfühlen. Er gibt sehr konkrete (für uns heute manchmal herzzerreißend komische) Hinweise.
So erfahren wir, dass der aufgregete Flötenist sich vor dem Spielen in die Perücke greifen solle, da das Puder die feuchten Hände trocknet. Oder dass darauf zu achten wäre, dass die Sängerin „kein blödes Gesicht“ habe – womit er darauf hinweisen möchte, dass sie gut sehen können muss. (Denn sie muß über die Schulter des Cembalisten hinweg schließlich nicht nur die Noten, sondern auch noch den Text lesen können!)
Er warnt auch allzu eifrige Musikschüler:
Zwei Stunden vormittags und zwei Stunden nachmittags als Übezeit müssten für den Anfang genügen!
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