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Das Trio für den Plöner Musiktag (Paul Hindemith 1932)

Taschenpartitur Deckblatt und Ausschnitt Hindemith Trio

Taschenpartitur alte Ausgabe 1952

Welch tolle Musik! Nett, dass in dieser Wandervogel – Zeit mal jemand jenseits von „Liedchen“ an uns dachte 😉 und uns ein anspruchsvolles, nahezu 10-minütiges Stücklein widmete!
Hindemith komponierte 1932 den „Plöner Musiktag“ als großes mehrteiliges Werk für Chor und Orchester. Das deutlich gegliederte Gesamtwerk sollte über den Tag verteilt an verschiedenen Orten in der Stadt erklingen, unser Trio befindet sich quasi als Edelsteinchen inmitten der „Abendmusik“. Uraufgeführt wurde es von Hindemith selbst, der die erste Stimme spielte, mit seinen Kollegen Harald Genzmer und Oscar Sala, bekannt u.a. durch Musik zu Hitchcocks „Die Vögel“, (interessanter Link mit Klangbeispielen vom Trautonium).
Hindemith wünschte sich das Stück gespielt von A- und D- Flöten. Diese Stimmung war neben anderen in Deutschland so lange weit verbreitet, bis die politische Führung 1937 die Vereinheitlichung auf C- und F- Instrumente vorschrieb. (vgl. mein Artikel hier im Blog).

Erste Proben: In dieser C – F Stimmung, für die das Stück höher transponiert wurde, begannen wir auch unsere Proben mit der Notenausgabe von 1952. Um nun mit S/A/A klanglich größere Möglichkeiten für die geforderte Dynamik zu haben, ersetzten wir probeweise die oben eher piepsigen (sorry), aber im unteren Bereich etwas schwachen Barockflöten durch einen Ganassi Sopran (super gelungen gebaut 2018 von Doris Kulossa-Delfino!) und zwei „Adlerflöten“. Übrigens: eine davon eine „Eagle Recorder“ von Adriana Breukink, die zweite fast gleiche nun bereits eine „E3“, vertrieben über Küng.
Mit diesen Flöten klingt das Trio voll, rund, warm – und gefiel uns!

Neue Ausgaben des Trios von 2008 und 2013 (Schott)
Prof. Peter Thalheimer, Spezialist für Flöten und Forschungen in ihrem Umfeld, recherchierte  vor langer Zeit über dieses Trio. Ein Artikel darüber erschien bereits in der Tibia 4/1995 (Moeck), Link dorthin  s.u. Ich erfuhr, dass in der verbreiteten alten Notenausgabe von 1952 außer Besetzung und Tonart auch die zahlreichen Vortragsanweisungen durch den Herausgeber stillschweigend geändert worden waren. Insbesondere wurden Hindemiths lange Spannungs(?) – Bindebögen durch Portato-Striche ersetzt, die ihm für Blockflöten überzeugender vorkamen.
Nun sind derart viele lange Bögen für Blockflötisten tatsächlich eher ungebräuchlich. Thalheimer suchte nach Indizien dafür, wie wir uns  Hindemiths eigene Gestaltung vorzustellen haben und kam zu erstaunlichen Resultaten, zu lesen hier.
Seit der Ausgabe von 2008 (Schott) entsprechen nun alle Eintragungen der Hindemith-Gesamtausgabe  seinem Autograph. Die höhere Stimmung und Besetzung blieb aber noch erhalten. Da war es nur konsequent, dass Thalheimer dies in seiner Neuausgabe von 2013 auch noch änderte.
Das Trio wird nun transponiert und auf F / G – Alt und 2 C – Tenorflöten gespielt,
eine Quarte tiefer – und damit dichter am Originalklang.  Natürlich nehmen wir gern Renaissanceflöten – oder vielleicht doch oben die Eagle, mal sehen. Wir sind noch nicht an allen Stellen entschlossen, wie sehr wir die Bindungen als solche spielen oder als Phrasierungsbögen betrachten werden. Auch die Dynamik ist eine Herausforderung. Und natürlich spielen wir den langsamen Satz in der Mitte statt am Schluss, wie bereits Hindemith selbst empfahl.
Und: Tolle Musik! 

Rätselhaft: Bachs „Due Fiauti d‘ Echo“

Kaum zu glauben:  Es gibt tatsächlich ein neues (ganz altes?) Instrument am Blockflötenhimmel! Es hat eine etwas breitere und flachere Form, (ähnelt äußerlich auf den ersten Blick etwas der Harmonischen E-Blockflöte Elody) hat aber zwei Reihen Grifflöcher nebeneinander – und auch zwei sehr unterschiedliche Labien! Beim Spielen rutscht man mit den Lippen und den Fingern auf die dynamisch/klanglich jeweils benötigte Seite.

Echofloete

Sorry für meine sehr grobe Skizze…

Das berühmte Alte – Musik – Ensemble Concerto Köln stellte diese neuen zwei Flötlein in seiner aktuellen Einspielung der Brandenburgischen Konzerte im Herbst 2014 vor. Am besten gleich mal auf youtube anschauen und reinhören? Hier.

Wie kam es dazu?
Auf Initiative von Lorenzo Alpert, Fagottist des Ensembles, wurde diesmal besonders engagiert an Fragen zur Besetzung geforscht. Besonders die mysteriösen 2 „Fiauti d’Echo“, von Bach selbst neben der Geige als Solisten für das Konzert Nr. IV vorgeschrieben, beschäftigten die Musiker. So etwas gibt es – auch bei Bach – kein zweites mal. Sie sollen besonders im zweiten Satz zur Geltung kommen, wo sich Tuttipassagen mit Echos der Flöten abwechseln. Jahrzehntelang kursierten in der Musikwelt unterschiedliche Vorschläge, welche Instrumente Bach damit genau gemeint haben könnte? Vorschläge wie alleinige räumlich getrennte Aufstellung der Echos – oder auch der Einsatz von damals sehr beliebten französischen Flageolets für die Echostellen wurden jahrzehntelang probiert.

In der Inventarliste des Köthener Hofs finden sich zwei Echoflöten verzeichnet. Tatsächlich erhalten ist nur ein Instrument aus der Zeit, die Leipziger Doppelflöte im Grassi-Museum, Foto hier. Es besteht aus zwei mit waagerechten Stegen verbundenen Flöten. Ob es sich um eine solche Echoflöte handelt, kann niemand sagen. Es ist wegen der Sperrigkeit dieses Instrument aber nicht vorstellbar, dass die Spieler den virtuosen Part mit der Wechselei zwischen den beiden unterschiedlichen Teil-Instrumenten geschafft hätten.
Tatsächlich gibt es mehrere Schilderungen zu Doppelflöten / Echoflöten aus historischen Werkstätten. „Erfinder“ könnte der Amsterdamer Michael Parent gewesen sein – dessen Witwe ihn nach seinem Tod dafür rühmt. Alpert fand in U. Prinz Schrift „J.S.Bachs Instrumentarium“ (Bd. 10 Schriften der Bachakademie Stuttgart, 2005, S. 205) auch die Reproduktion dieses schönen Kupferstichs aus einer Flötenwerkstatt im 17. Jahrhundert: Dort steht rechts unten tatsächlich ein ähnliches Instrument wie das nun aktuell gebaute: 

Der Pfeiffenmacher, Christoph Weigel; Quelle: Dt. Fotothek / Wiki Commons

Der Pfeiffenmacher. Christoph Weigel, 17. Jht; Quelle: Dt. Fotothek / Commons.wikimedia.org (Ausschnitt Buchseite)

Es sollte nun als Vorbild für die Rekonstruktion dienen. Die Blockflötistin Cordula Breuer fand nach akribischer Suche in Andreas Schöni, (CH), einen Flötenbauer, der bereit war, nach historischen Beschreibungen und Abbildungen ein bisher noch nie gesehenes Instrument zu kreieren.  Es besitzt sogar einen variabel einstellbaren Dämpfer im Labium! Dies und mehr darüber steht im Artikel von Sören Ingwersen, einschließlich Abbildungen aus Schönis Werkstatt.
Cordula Breuer und Wolfgang Dey spielen diese Instrumente auf der Einspielung des Concerto Köln zum ersten Mal auf dieser Welt. Spannendes Projekt! Link leider 2020 nicht mehr abrufbar.

Notenbeispiel Verzierungen Telemann

Verzierungen (1)

Die kleinen aber feinen „ A g r é m e n t s “
also die „Annehmlichkeiten“, haben in der Barockmusik eine wichtige Aufgabe: Damit die Hörer nicht von zu schlichten Melodien gelangweilt würden oder das Ohr nicht von den vielen aufeinander folgenden harmonischen Konsonanzen ermüde, sollen sie mit  kleinen Schleifern und Umspielungen die Musik geschmeidiger und galanter gestalten, sowie durch dissonanzbildende Vorhalte mehr Spannung in den Vortrag bringen.

Ganz sicher nutzten die höfischen Musiker aber auch die Chance, die Musik mit all ihrem Können imposant anzureichern und sich damit als große Virtuosen zu profilieren!

Telemann: Methodische Sonate in A

Telemann: Methodische Sonate in A für Flöte u. Basso continuo Erste Zeile: Solo unverziert. Zweite Zeile: Solo von Telemann im „vermischten Geschmack“ selbst verziert

Die Bezeichnung „Wesentliche Manieren“ für die kleinen Verzierungen, die  dicht um die Hauptnote herum erklingen, macht deutlich, dass Verzierungen bis zu einem gewissen Ausmaß ein selbstverständlicher und eingeplanter Bestandteil der Komposition sind, und nicht freiwilliger Zierrat. Da Verzierungen aber fast nie ausgeschrieben wurden – und oft nicht einmal  Symbole über den Noten angebracht wurden, erfordert es gute Kenntnisse und Geschmack, wenn man stilfeste und wirkungsvolle Verzierungen spielen möchte. Wichtig ist, dass man auch bei den kleinen Verzierungsnoten in der richtigen Tonart bleibt.
Auf der Basis von überschaubaren Grundkenntnissen bleibt immer ein Improvisationsspielraum für die Interpreten, so dass ich finde, dass Verzieren einfach auch Spaß macht und es nicht grundsätzlich dauernd nur um richtig oder falsch geht.

Von den wesentlichen Manieren, die dem eleganten französischen Geschmack sehr entsprachen, unterschieden sich die großräumigeren „willkürlichen Manieren“ der Italiener,  z.B. in Corellis Sonaten oder in bereits wesentlich älteren italienischen Lehrwerken, wie der Flötenschule LaFontegara von Sylvestro Ganassi von 1535 (!). Hier finden sich ausladende Girlanden aus schnellen Noten, Akkordbrechungen und virtuose Diminutionen – aber darüber ein andermal mehr.
Deutsche Musiker schrieben vieles im französischen Stil, wie sie ja auch bei Hof französisch sprachen: Deutlich wird das meist schon am franz. Titel oder der franz. Satzbezeichnung eines Werks. Aber typisch für deutsche Musiker war ja der sogenannnte  „vermischte Geschmack“, der also Einflüsse von allen Seiten integriert, wie im Beispiel oben. Zeitgenössische Lehrwerke rieten einem angehenden Musikus, sich durch häufiges Anhören der Besten seinen Geschmack dafür zu bilden, wie Verzierungen gesetzt werden müssen.
Das ist bis heute ein guter Tipp!

Wer es lieber nachliest:
Einige Komponisten des 17. und 18. Jh. widmeten der Verzierungslehre Kapitel in ihren Lehrwerken, eine kleine Literaturliste zum Thema finden Sie in diesem Blog im Beitrag über die historische Aufführungspraxis, hier klicken.
Sie hinterließen auch konkrete Beispiele dafür, wie sie die Verzierung ihrer eigenen Musik erwarteten: Telemann hinterließ z. B.  seine zwölf „Methodischen Sonaten“, in denen die reich verzierte  Solostimme zusätzlich zur unverzierten abgedruckt wird, wie Sie im Beispiel oben sehen. Von Corelli gibt es dies ebenso. Auch das Komponieren sogenannter Doubles zu Sarabanden oder Menuetten war üblich, in denen die gleiche Musik beim zweiten Mal nun bereits stark verziert notiert ist.

Im nächsten Beitrag des Blogs: französische Verzierungen und der ganz wichtige (Kadenz)triller.

Den Abschluss für heute liefert J.S.Bach:
„Explication unterschiedlicher Zeichen,  so (gewisse?) Manieren artig zu spielen andeuten“:J.S.Bachs Erläuterungen der Manieren im "Clavierbüchlein für Friedemann", seinen Sohn.

J.S.Bachs Erläuterungen der Manieren im „Clavierbüchlein für Friedemann“, seinen Sohn. Quelle: Wikipedia

Blockflötenorchester Erlangen – Winter 2014

Konzert auf Schloß Wiesenthau

Der treue Hund des Schäfers - für Vivaldis Frühling (Zeichnung / Foto Anne Pape)

Der treue Hund des Schäfers – für Vivaldis Frühling (Zeichnung / Foto Anne Pape)

Unser Programm: Vivaldi, Boyce und Léclair
Vivaldis Konzerte aus opus VIII, Frühling und Winter, ganz neu und u n g e k ü r z t  für Blockflötenorchester arrangiert von Johannes Bornmann. Super, dass er auch Vivaldis Verse abdruckt, die in den Originalnoten stehen, sowie Teile der Originalsoli im Faksimile. Im ersten Satz vom Winter konnte unsere Spielerin dadurch sogar das tolle originale (doppelt schnelle) Solo realisieren. Unsere eh starke Bassgruppe gewann noch mehr Klangfarbe durch ein zuzsätzliches Cello. Es half dabei, programmatische Inhalte wie den grollenden Donner und den bellenden Hund des Schäfers plastischer zu machen. Celli sind uns beim Donnern und Bellen eben doch überlegen 🙂 (Zugegeben ist dies ein bissel neidisch…)  Zusätzlich haben wir die Verse teils mit kurz auftauchenden Pappfiguren angedeutet, siehe Foto.
Fazit:  Die Jahreszeiten überzeugen im Blockflötenorchester in (fast) allen Sätzen. Da allerdings gerade hierbei das Publikum Hörerfahrungen mit Streichorchestern mitbringt, hat man möglicherweise einen schwierige Ausgangslage. Die Investition in diese Noten hat sich trotzdem gelohnt. Leider muss man die Stimmen für größere Besetzung einzeln dazukaufen, was andere Verlage ja bereits sehr erfolgreich anders regeln.
Drittes Stück: Die Symphonie Nr. 1 von William Boyce,
alle drei Sätze für Blockflöten arrangiert  von R.B. Tennent, ist einfach toll – kommt der Blockflötenbesetzung sehr entgegen und klang auch im Schloss prächtig. Glitzernd verzierte Sopranläufe brillieren im ersten Satz über ein sensibel swingend barock gestaltendes „Tutti“. Der anmutig leichte zweite Satz machte uns viel Spaß beim Spielen, der dritte ist ein schwungvoll fetziger Abschluss und nicht zu „killender“ Ohrwurm.
Viertes Stück: „Deuxième récréation de musique“ von Jean Marie Léclair,
wieder arrangiert von J. Bornmann:
Daraus diesmal nur die virtuose Chaconne. Sie dauert auch allein bereits mal etwas länger, nämlich 7 Minuten – und wenn man französische Musik mit all ihren Schnörkeln und rhythmischen Kompliziertheiten spielen mag, kommt man hier voll auf seine Kosten.  In jedem Takt passiert irgend etwas, Platz für jede Menge Gestaltung. Etwas schade ist, dass die Noten der Einzelstimmen sehr klein und eng gedruckt sind,  im Gegensatz zur komfortablen Partitur. Dadurch erfordert die Arbeit an diesem eh schwierigen Werk enorm viel zusätzliche Konzentration, spätestens wenn man die unzähligen Absprachen noch anbringen möchte.
Tipp: Wer mag, findet zur „Récréation“ auch einige sehr nette  musikgeschichtliche Betrachtungen von Roland Müller, gedacht zum Vorlesen zur Musik.

Hemiole Notenbeispiel 1

Hemiolen in Dreiertakten

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Hemiolen begegneten mir zum ersten Mal als Studentin bei Bachs h-moll Messe.
Damals hatte wohl keiner aus unserem kleinen feinen Gesangsensemble (Die Berliner Bachsolisten mit Solisten der Berliner Philharmoniker) den Dirigenten verstanden, der zunehmend wütend auf einer korrekt hemiolischen Ausführung der virtuosen 16tel – Ketten beharrte, ohne uns das so recht erklären zu können (s. Beispiel ganz unten). Oder lag es an uns?

Dabei ist alles ganz einfach:
Hemiolen sind nicht notierte Taktwechsel. Barocke Titel im Dreiertakt  o h n e Hemiolen gibt es praktisch nicht.
Sie werden im Barock und bis in die aktuelle Musik sehr regelmäßig eingesetzt, um in Dreiertakten Schlußwirkungen zu erreichen.
Sie stehen also folgerichtig gern an (Binnen-)Schlüssen von Stücken wie z.B. Menuetten, Sarabanden, Sizilianos und umfassen jeweils zwei 3er- Takte bzw. e i n e n 6er-Takt (6/8, 6/4).  Die Hemiole fasst 2 Dreiertakte zu  e i n e m  großen Dreiertakt zusammen. Aus: „Eins-Zwei-Drei, Eins-zwei-Drei“ wird also dann: „1 und,  2 und,  3 und“.  Diese neuen drei Zählzeiten habe ich in meinen Beispielen wie allgemein üblich mit drei Klammern gekennzeichnet. Natürlich ändern sich dadurch die Betonungen, denn der mittlere Taktstrich entfällt ja.Ihre Wirkung entsteht durch die Verschiebung der Schwerpunkte. (Zeile 2):

HemioleRhythmisch
Wer es mathematisch mag:
Die zwei 3/4 zusammen (oder ein einzelner 6/4-Takt) verfügen über 6 Viertel, bei anderen Dreiertakten aus Achteln oder Halben gilt das entsprechend. Diese sechs kann man schon rein rechnerisch aufteilen in zwei Dreiertakte mit jeweiliger Betonung auf 1)  wie zu Anfang des Beispiels unten, oder hemiolisch  in drei Zweiergruppen, wie in der zweiten Zeile. Die neue Betonung ergibt sich dann ganz automatisch:

Hemiole_Notenbsp2

In originalen Noten wurde oft der mittlere Taktstrich weggelassen, um die Hemiole zu kennzeichnen. (Tipp: Wenn es an einer „schlüssigen“ Stelle holpert – einfach schnell mal testen, obs als Hemiole auch noch holpert. Meist wird man belohnt: Die Wendung klingt plötzlich viel besser, und der Bass unterstützt die Stelle absolut passend.)
Selbstverständlich müssen auch die Continuospieler im Ensemble hemiolisch phrasieren, nicht nur die Solisten. Dirigent/innen schlagen an Hemiolenstellen ebenfalls den „großen Dreier“ bzw. drei Zweier.

Sehr griffige Merksätze:
Die Hemiole macht aus zwei kleinen Dreiern einen großen 🙂
Die Hemiole macht aus zwei Dreiern drei Zweier  🙂
„Da wo du rausfliegst ist eine Hemiole“ – sorry, stimmt auffallend oft  🙂

MEHR  ZUM  THEMA  HEMIOLEN – und mehr Notenbeispiele:

Es lohnt sich, mit ihnen vertraut zu sein – denn einmal erkannt, machen sie schwierig wirkende Rhythmen auf einmal viel logischer. Man übt es, ein Gefühl dafür zu bekommen – und bald gehts ganz selbstverständlich. Besonders hemiolenlastig sind Musiken über einen wiederkehrenden Bass („Ground“), wie Folias, Passacaglien und Chaconnen, aber ganz ohne kommt kaum eine Sarabande, kein Menuett oder auch sonstiges Dreiertaktstück aus.
Kurze Zusammenfassung:
Besonders deutlich macht das der Text aus der h-moll-Messe im vorletzten Beispiel.
Hemiolen sucht man erfolgreich an unzähligen kleinen Phrasenenden, natürlich auch oft am Schluss des Stückes. Man erkennt Hemiolen – außer mit Gefühl dafür – am typischen  kadenzartigen Bassverlauf,  häufig mit  Oktavfall auf Drei, und verziert am besten diese Stelle mit einem Vorhalts-Triller (+)  in der Oberstimme.  Viel Spaß beim Ausprobieren!

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Warum barocke Spielpraxis?

Ganz einfach: Inspiriert durch die rationale, intellektuelle Haltung der Aufklärung verfassten die barocken Komponisten mehr Lehrwerke als Musiker zu jeder anderen Zeit vorher oder nachher, und das noch in deutscher (französischer, italienischer) Sprache und nicht mehr im Gelehrten-Latein. Wie ignorant wäre es, über solche Lehren einfach hinweg zu gehen?  Wir können annehmen, dass diese „Spielregeln“ zumindest bis weit in die Klassik hinein gängige Praxis gewesen sein müssen. Zumal viele von ihnen in einer Zeit publiziert  wurden, als z.B.  W.A. Mozart bald schon ein musikalisches Kleinkind war….
Für viele große Dirigenten ist die Berücksichtigung der zeitgemäßen Spielpraxis auch bis in die Romantik hinein längst selbstverständlich geworden – während andernorts das Bemühen darum immer noch (vielleicht aus Unwissenheit?) zumindest verdrängt oder belächelt wird 🙂
Barock gespielt klingt die Musik meist federnder, kleingliedriger, tänzerischer, auch mal pathetischer –  aber immer wesentlich kontrastreicher. Mehr als spätere Musik lässt Barockmusik Freiraum zu Gestaltung durch Verzierung und Improvisation.  Barock will nicht ebenmäßig und „klassisch“ schön sein, sondern eher affektvoll, mitreißend, auch mal schrill.  In Zukunft werden in diesem Blog immer mal wieder Beiträge zum „Warum“ und „Wie“ stehen – unter besonderer Beachtung der Blockflöte natürlich.

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Foto: Anne Pape

Die Lehrwerke
Drei besonders beachtete Lehrwerke für viele Instrumente entstanden im 18. Jh. am Berliner Hof Friedrich des Großen – im Schloss Sanssouci (Potsdam). Berühmte Komponisten (Ph.E.Bach, J. J.Quantz, L. Mozart) haben sie verfasst, und sie bereichern unsere Ausbildung immer noch. (Als Faksimile und auch als Paperback erhältlich!) So wie es bei Hofe als schick galt, französisch zu sprechen, ist auch der Musikgeschmack der Komponisten dort sehr französisch – darüber mal später mehr.

Hier einige Titel:
Leopold Mozart, Versuch einer gründlichen Violinschule (1756 u. 1770 Berlin)
Philipp Emanuel Bach, Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen (1753 Berlin)
Johann Joachim Quantz, Versuch einer Anweisung die Flöte traversière zu spielen  (1752 Berlin, in Wirklichkeit ein umfassendes allgemeines Lehrwerk, Anm. d. Verfasserin)
Pier Francesco Tosi / übers.: Johann Friedrich Agricola, Anleitung zur Singkunst (original: Opinioni de’ cantori antichi, e moderni o sieno osservazioni sopra il canto figurato (Bologna 1723)
J. M. Hotteterre le Romain, Principes de la Flute traversière ou Flute Allemande, de la Flute a Bec ou Flute douce, et du Haut-bois (Paris 1707), nachzulesen Hier.

Alle Quellen beschreiben sehr vergleichbar detailgenau die Musik als eine Sprache mit minutiösen Regeln zu Aussprache und Rhetorik. Da finden wir Hinweise zur Aufstellung und Anleitung des Ensembles, zur Charakteristik von Tanzsätzen, zu Tempowahl, Affektgestaltung und zur Haltung. Sogar Triller-, Griff- und Artikulationstabellen sind beigefügt. Für alle Instrumente, sowie auch die Singstimme, gelten die gleichen Regeln. Die technische Ausführung muss jeweils auf angepasste Art realisiert werden. Darüber bald mehr.

Kurioses: Ganz besonders bei Herrn Quantz kann man sich zudem noch gut in den Geschmack und die Probleme der Zeit einfühlen. Er gibt sehr konkrete (für uns heute manchmal herzzerreißend komische) Hinweise.
So erfahren wir, dass der aufgregete Flötenist sich vor dem Spielen in die Perücke greifen solle, da das Puder die feuchten Hände trocknet. Oder dass darauf zu achten wäre, dass die Sängerin „kein blödes Gesicht“ habe – womit er darauf hinweisen möchte, dass sie gut sehen können muss. (Denn sie muß über die Schulter des Cembalisten hinweg schließlich nicht nur die Noten, sondern auch noch den Text lesen können!)
Er warnt auch allzu eifrige Musikschüler:
Zwei Stunden vormittags und zwei Stunden nachmittags als Übezeit müssten für den Anfang genügen!